Die theoretische Astroteilchenphysik stellt die fundamentalen Fragen im Gesamtzusammenhang dar und unterstützt so die Interpretation der Daten von verschiedenen Experimenten. Außerdem werden neue Theorien entwickelt, die die elementarsten Fragen oder die ungelösten Probleme eines Feldes beschreiben können. Diese Theorien oder Modelle sollen auch Vorhersagen für neue Messungen treffen; eine "Theorie" ist zunächst eine Hypothese, die nicht bewiesen werden kann, sondern durch Messungen widerlegt - und dann verworfen oder angepasst - wird. Beispiele sind Neutrinomassenmodelle, die sowohl die Kleinheit der Neutrinomassen als auch deren weitere Eigenschaften (die für Neutrinooszillationen wichtig sind) beschreiben können, Modelle für Teilchen, aus denen die Dunkle Materie bestehen könnte, oder Modelle für kosmische Teilchenbeschleuniger. Ohne theoretischen Hintergrund ist eine Messung oder Beobachtung häufig nicht interpretierbar. Zum Beispiel wurden Neutrinooszillationen durch deren Energieabhängigkeit gefunden, die durch die entsprechende Theorie postuliert wurde; da massive Neutrinos eine notwendige Zutat dieser Theorie sind, weiß man heute, dass nicht alle Neutrinos masselos (wie zum Beispiel Photonen) sein können. Diese Theorie für Neutrinooszillationen kann heute in jedem entsprechenden Lehrbuch gefunden werden. Das heißt aber nicht, dass so eine Theorie "für immer" gelten wird; werden Widersprüche entdeckt, muss die Theorie erweitert, erneuert oder verworfen werden. Ein schönes Beispiel hierfür ist die dunkle Materie, die einen substanziellen Teil der Energie unseres Universums ausmacht: hier kommen verschiedene plausible Teilchenkandidaten in Frage, von denen vielleicht eines bald entdeckt wird - aber vielleicht muss auch unser fundamentales Verständnis der Gravitation überarbeitet werden?
Die Nukleare Astrophysik befasst sich mit astrophysikalischen Objekten und Phänomenen, für die die Kernphysik wesentliche Grundlagen über Theorie und Experimente liefert. Hierzu gehören die Elemententstehung (Nukleosynthese) und Energiefreisetzung im Inneren von Sternen, Elemententstehung im frühen Universum (Urknallnukleosynthese), Sternexplosionen (Supernovae), Kollaps von Sternen und ihre kompakten Überreste wie Neutronensterne und Schwarze Löcher, sowie Phänomene bei der Verschmelzung von Neutronensternen zu Schwarzen Löchern.
Die Reaktionswahrscheinlichkeiten in Kernreaktionen, die für die Energieumwandlung in Sternen und Elemententstehung relevant sind, werden mit kernphysikalischen Methoden an Beschleunigern gemessen. Zum Teil werden diese Messungen an Beschleunigern in Untergrundlaboratorien durchgeführt, um den Untergrund kosmischer Strahlung zu reduzieren. Die Kräfte, die Neutronensterne stabilisieren, hängen fundamental mit unserem Verständnis der Kräfte zusammen, die die Kerne im Inneren von Atomen zusammenhalten. Die "Steifheit" der Neutronenmaterie spielt sowohl bei der Entstehung dieser kompakten Objekte im Kollaps sehr massereicher Sterne eine wichtige Rolle wie auch bei der seltenen Verschmelzung zweier Neutronensterne in einem Doppelsternsystem. Astronomie mit Gammastrahlung im Energiebereich von Kernübergängen liefert die Möglichkeit unmittelbarer Beobachtung verschiedener dieser Phänomene. Solche Teleskope sind weltraumgestützt, da unsere Atmosphäre für Gammastrahlung undurchsichtig ist.
Das H.E.S.S.-Gammastrahlungsteleskop in Namibia (High-Energy Stereoscopic System). Jedes der Teleskope (vier "kleine" mit 12m Durchmesser und ein großes mit 28m Durchmesser) bildet das Licht der Gammastrahlungs-Reaktionen auf je eine Kamera ab, die das Signal mit hoher zeitlicher und Winkel-Auflösung vermisst. (Bildquelle: https://www.mpi-hd.mpg.de/hfm/HESS/pages/about/telescopes/) Gammastrahlen haben die größte Photonenenergie im elektromagnetischen Spektrum. Sie werden von den heißesten und energiereichsten Objekten im Universum erzeugt, z. B. von Neutronensternen und Pulsaren, Supernova-Explosionen und in Regionen um schwarze Löcher. Gammastrahlen helfen Wissenschaftlern, Rückschlüsse auf energiereiche Prozesse im Universum zu ziehen. Darüber hinaus sind Gammastrahlen ein wichtiges Instrument für die Suche nach dunkler Materie im Weltall. Anders als sichtbares Licht und Röntgenstrahlen können Gammastrahlen nicht von Spiegeln aufgefangen und reflektiert werden. Der Grund dafür ist, dass die Wellenlängen der Gammastrahlen so kurz sind, dass sie den Raum innerhalb der Atome eines Detektors durchdringen können, ohne dabei abgelenkt zu werden. Deshalb bedienen sich Wissenschaftler:innen besonderer Methoden, um Gammastrahlen auf Satelliten oder in erdgebundenen Teleskopen zu beobachten. So kann man zum Beispiel mit großen Teleskopen kurze Lichtblitze nachweisen, die entstehen, wenn Gammastrahlen von komischen Quellen in der Atmosphäre mit Atomkernen reagieren und dadurch gestoppt werden.
Schemabild des IceCube-Detektors: An 86 vertikalen sog. "Strings" sind insgesamt 5640 Lichtsensoren angebracht, die die Neutrino-Reaktionen registrieren. Das instrumentierte Eisvolumen befindet sich in einer Tiefe von 1450m bis 2450m, wohin absolut kein Tageslicht vordringt. Die Daten werden im "IceCube Lab" gefiltert und gesammelt und dann "in den Norden" weitergeleitet. (Bildquelle: https://icecube.wisc.edu/gallery/detector/#modulagallery-7032-9784)Dort, wo die Teilchen der kosmischen Strahlung im Universum auf riesige Energien beschleunigt werden, entstehen auch Neutrinos mit hoher Energie. Das wissen wir, weil wir die Reaktionen von Teilchen, aus denen die kosmische Strahlung besteht, auch in Experimenten an Teilchenbeschleunigern untersuchen können. Wenn zwei solche Teilchen kollidieren, entstehen neue, kurzlebige Teilchen, bei deren Zerfall Neutrinos entstehen. Diese sind ideale kosmische Boten, weil sie auf dem Weg zu uns nicht abgelenkt oder gestoppt werden. Für ihren Nachweis braucht man allerdings riesige Detektoren, damit wenigstens einige der ankommenden Neutrinos darin reagieren und ein messbares Signal erzeugen. Der größte und erfolgreichste solche Detektor heißt IceCube und befindet sich am Südpol. Dort wurde ein Volumen von etwa einem Kubikkilometer Eis mit Lichtsensoren instrumentiert, die schwächste Lichtsignale (einzelne Photonen), wie sie bei Neutrino-Reaktionen entstehen, nachweisen und deren Ankunftszeit mit einer Genauigkeit von einer Milliardstel Sekunde messen können. Aus diesen Daten kann dann auf die Richtung und Energie des Neutrinos zurückgeschlossen werden. Wir nennen solche Detektoren deshalb “Neutrinoteleskope”. IceCube hat in den letzten Jahren mit mehreren Messungen kosmischer Neutrinos bewiesen, dass das Konzept der Neutrinoastronomie tatsächlich funktioniert. Neben IceCube befinden sich zwei weitere riesige Neutrinoteleskope im Aufbau, KM3NeT in der Tiefsee des Mittelmeers und GVD im Baikal-See in Sibirien.
Während die Neutrinos, die mit Neutrinoteleskopen vermessen werden, typischerweise Energien von Milliarden bis Billiarden Elektronenvolt haben, gibt es auch Neutrinos aus dem Weltraum, die nur einen kleinen Bruchteil dieser Energien tragen. Sie kommen z.B. aus der Sonne oder von Supernova-Explosionen und verraten uns, welche kern- und teilchenphysikalischen Vorgänge dort stattfinden. Auch beim Nachweis dieser Neutrinos ist bestmöglicher Schutz gegen Störungen durch kosmische Strahlung notwendig, und auch diese Detektoren werden daher tief unter der Erdoberfläche betrieben. Eines der erfolgreichsten Experimente war “Borexino” (2007 bis 2021) im Gran-Sasso-Labor, mit dem die Neutrinos aus den Kernfusionsvorgängen in der Sonne zum ersten Mal detailliert und vollständig vermessen wurden. Es gibt eine ganze Reihe weiterer Experimente, die unter anderen darauf warten, dass in unserer Milchstraße eine Supernovaexplosion stattfindet und sie die von dort kommenden Neutrinos vermessen können.Die Vermessung von solaren Neutrinos und der in der Atmosphäre durch Reaktionen kosmischer Strahlung erzeugten Neutrinos mit solchen Experimenten war ausschlaggebend für die Entdeckung und Vermessung von Neutrionooszillationen.